Welchen Vorteil wünschen Sie sich?

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Welcher Waldbau in der Zukunft? Der Femelschlag hat viele Vorteile

Durch die Klimaveränderungen sind die Wälder gefordert. Doch ihre Anpassungsfähigkeit lässt einen gewissen Handlungsspielraum. Wenn es um natürliche Verjüngung geht, bietet sich hier eine ganz bestimmte Betriebsform an.

Von Jean-Philippe Schütz* | Die heute vorausgesehenen Veränderungen des Klimas können zum Verzweifeln, ja sogar zur Ratlosigkeit führen hinsichtlich der Behandlung unserer Wälder. Bevor man sich vom bewährten Waldbau abwendet, sollen alle Alternativen erwogen werden zum Vorgehen in einer solch unsicheren Situation. Eigentlich ist es nicht das erste Mal, dass solche Probleme auftauchen. 

Zuerst ist es angebracht zu wissen, 
welche Risiken auftreten dürften und wie lange dies der Fall ist, bis die Massnahmen zur Kontrolle des Klimas wirksam werden. Sehr langlebige Ökosysteme mit Lebenszyklen von 300 bis 400 Jahre wie unsere Wälder erweisen sich als adaptiv dank dieser grossen zeitlichen Trägheit. Die ältesten Samenträger übertragen durch Pollen und Samen Erbinformationen aus der Zeit vor rund einem Jahrhundert. Die aktuellen Nachkommen passen sich unter dem Druck der heutigen Verhältnisse an, die sie erst nach zirka 50 bis 100 Jahren weitervererben, wenn sie mannbar werden beziehungsweise wenn eine Verjüngung stattfindet. Während der Evolution führte eine solche Trägheit zu einer grossen genetischen Vielfalt. Bäume besitzen eine der grössten genetischen Vielfalten unter den Lebewesen überhaupt. Dies erlaubt ihnen, sich gut anzupassen.

Darüber hinaus weiss man heute nicht genau, welche lebensbedrohlichen Vorkommnisse zu erwarten sind als Folge der Klimaerwärmung. Die Temperatur ist an sich ein eher günstig wirkender Faktor auf die Baum- und Waldentwicklung, sofern genügend Wasser zur Verfügung steht. Es existieren sehr schöne, üppige Wälder in einem Klima, das bei Weitem wärmer ist (um 6 bis 7 Grad Celsius) als bei uns, also mehr als zweimal wärmer als die vorausgesagte Erhöhung der mittleren Temperatur gemäss Prognosen des IPCC (zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, mässiges Szenario). So etwa Wälder bestehend aus den gleichen Arten oder Gattungen wie bei uns mit Ahornen, Linden, Ulmen, Buchen, die im Elbourz-Gebirge auf den dem kaspischen Meer zugewandten Hängen im Iran vorkommen (mittlere Jahrestemperatur 15 bis 17,5 Grad Celsius). Ein weiteres Beispiel ist das Balkangebirge in Bulgarien (siehe Foto 1), wo schöne natürliche Buchenwälder gedeihen. Dies zeigt übrigens, dass die Gattung Fagus, die bei uns im Wesentlichen die potenzielle Vegetation darstellt, eine gute Anpassungsfähigkeit aufweist. Es ist bekannt, dass Baumarten mit ausgedehnten Arealen eine genügende genetische Vielfalt aufweisen, um sich gut anzupassen.

Die vorausgesagte Erhöhung der mittleren Temperatur dürfte zur Erhöhung der Verdunstung und somit zur Erhöhung der Niederschläge führen, zumindest im Durchschnitt. Es sind eher die jahreszeitliche und örtliche Verteilung dieser Niederschläge, die Probleme zu verursachen scheinen, sowie grossräumige katastrophale Konsequenzen wie Orkane, Hagelschläge, ausgedehnte Trockenperioden sowie Hitzewellen mit Temperaturen über der Letalgrenze der Photosynthese (> 45 Grad Celsius). Solche Ereignisse sind im Detail nicht vorauszusehen. Man weiss nur, dass sie irgendwann und irgendwo vorkommen können.

Erfahrungen aus früheren Vorkommnissen

Das klimatisch bedeutsamste Ereignis der letzten 100 Jahre bezüglich Waldschäden ist der massive Befall von Fichte und Tanne durch Borkenkäfer nach aufeinanderfolgenden Trockenperioden während fast drei Jahren Ende der 1940er-Jahre. Sie sind gut dokumentiert durch die Jahrringsequenzen (Abbildung 1). Eine solch verhängnisvolle Häufung von Extremereignissen hat nicht unmittelbar mit der zunehmenden Erhöhung der Temperaturen zu tun, sondern muss als zufälliges Verhängnis betrachtet werden. Im Nachhinein muss man auch feststellen, dass die betroffenen Wälder sich wieder erholt haben, was ihr gutes Resilienzvermögen zeigt.

Aus diesen Beobachtungen ist abzuleiten, dass sich nach massiven Schäden infolge von Trockenperioden oder Hitzewellen wie 2003 und 2018 bis 2020 nicht automatisch die Notwendigkeit ableiten lässt, Baumarten zu ersetzen. Beobachtungen in Frankreich im phänologischen Netzwerk der Waldgesundheit zeigen, dass namentlich die Buche, trotz ihrer hohen Empfindlichkeit auf Wassermangel, eine gute und rasche Erholung aufzuweisen scheint mit 
sehr begrenzter Mortalität. 

Unsere einheimischen Baumarten zeugen von einer sehr langen Adaptation über mehrere Tausend Jahre. Dass sie die Selektion der jungen Evolution gewonnen haben, zeigt, dass sie das Potenzial dazu besassen, und zwar besser als andere Baumarten, nicht hinsichtlich nur eines einzigen bestimmten Faktors. Es wäre verfehlt, diese adaptive Vergangenheit und die gute Resilienz der naturnahen Waldökosysteme zu unterschätzen. 2020 haben Untersuchungen von Carraro anhand der Vegetationsentwicklung der letzten 100 Jahre im Val Onsernone im Tessin gezeigt, dass die Resilienz der Waldvegetation wesentlich grösser war als ursprünglich gedacht, insbesondere für Buchen- und Tannen-Gesellschaften. Dies wurde dokumentiert durch drei Vegetationserhebungen in diesem Zeitraum.

Es scheint als wenig wahrscheinlich, dass unsere nährstoffreichen Buchenwälder, die das Gros unserer potentiellen natürlichen Vegetation ausmachen, unfähig sein sollten, sich zukünftig anzupassen. 

Arbeiten mit der Unsicherheit

Somit wissen wir eigentlich nicht eindeutig, auf welche Ereignisse die Wälder vorzubereiten sind und für welchen zeitlichen Horizont. Eine grosse Unsicherheit bestimmt unser Vorgehen. Das Wesentliche im zukünftigen Waldbau wird sein, die Wälder vorbereitend in einen Zustand zu bringen, der es erlaubt, diversen biotischen und abiotischen Einwirkungen widerstehen zu können.

Es ist in der Tat einfacher, Schäden zu begrenzen und dort und dann zu beseitigen, wo und wann sie vorkommen, als auf der ganzen Fläche präventiv vorzugehen. Es geht um Kräftebündelung. Dies bedeutet prinzipiell die Schaffung von Mischwäldern, um die Risiken zu verteilen, sowie das Arbeiten in Richtung guter Vitalität und Stabilität durch Selbstdifferenzierung und anschliessende gezielte Auslese der vitalsten Bäume, auch bekannt unter dem Begriff biologische Rationalisierung. Das ist genau das, was der Waldbau bereits bisher angestrebt hat, durch regelmässig wiederholte Durchforstungseingriffe mit der Förderung der Vitalsten. Heute weiss man hinsichtlich Widerstand gegenüber Windstürmen und hinsichtlich Schneedruck, dass gut durchforstete Bestände eine bessere Resistenz aufweisen, auch wenn klar ist, dass gegenüber Extremereignissen keine Prävention nützt.

Bezüglich des genetischen Adaptationspotenzials ist es eindeutig, dass Naturverjüngung wesentlich günstiger ist als Pflanzung aufgrund der höheren Anzahl Nachkommen. Natursaaten zeigen bis hundertmal mehr Pflanzen als Kulturen. Weitere Gründe sind die meist geringe Anzahl Erntebäume sowie die Anzuchtbedingungen, die im Forstgarten erheblich günstiger sind und damit einen weniger starken Selektionsdruck ausüben, sodass praktisch alle Genotypen erhalten bleiben und somit die selektive Wirkung äusserst klein ist. 

Der adaptive Waldbau

Man sollte lieber die einheimischen Baum-

arten aus Naturverjüngung nutzen, als eine ganz neue Population einzuführen, weil die Risiken von ungeeigneter 
Anpassung zum Beispiel gegenüber Spätfrösten, Schneedruck, Empfindlichkeit für Krankheiten wesentlich grösser sind als 
der Nutzen, und auch wegen der überhöhten 
Kosten von Pflanzungen.

Zukünftige Prinzipien des Waldbaus sollen weiterhin sein: Arbeit mit einheimischen Baumarten, Naturverjüngung, Förderung von möglichst feinen Mischungen in kleinen bis mittleren Kollektiven, von standortangepassten und sozial verträglichen Baumarten. Die Bestandeserneuerung soll frühzeitig 
genug stattfinden, um alte, krankheitsanfällige und unstabile Phasen der Waldentwicklung zu vermeiden. Um dies zu realisieren, gibt es längst erprobte und bekannte waldbauliche Massnahmen, insbesondere der Verjüngungstechnik. Die Naturverjüngung von Lichtbaumarten erfolgt günstiger mit Lücken, insbesondere für Laubbaumarten. Um Mischbestände durch Naturverjüngung zu bekommen, soll die Grösse der Löcher an die Lichtbedürfnisse der lichtbedürftigsten Baumart angepasst werden. Um eine Lichtbaumart wie die Eiche zu verjüngen, braucht es Löcher von mindestens 25 Aren am Anfang, die im Stadium der Dickung auf 50 Aren zu erweitern sind, sonst gibt es zu grosse Wuchsdepressionen am Lückenrand (Foto 2), was zu Instabilität gegenüber zum Beispiel Schneedruck führt (Foto 3).

Die Schaffung von zeitlich und örtlich dezentralisierten Verjüngungslöchern ist als Femelhieb seit Engler (1900) die erfolgreichste Technik zur Schaffung von gemischten, strukturierten Wäldern. Dabei ist die Steuerung durch die Lichtdosierung entscheidend; durch eine Erweiterung können fortlaufend geeignete Bedingungen für Lichtbaumarten geschaffen werden, wie es die französische Bezeichnung «coupe progressive» schön aussagt.

Auch wenn die Klimaänderung die Risiken von für den Wald lebensbedrohlichen Ereignissen erhöhen könnte, weiss man nicht genau, welche Risiken zu erwarten sind. Deswegen darf man weder panikartig reagieren noch das Vertrauen in die natürlichen Resilienzfähigkeiten der bestehenden Wälder verlieren. Es geht darum, die erprobten Prinzipien vom Vorgehen in unsicheren Umständen anzuwenden, das heisst die Risiken zu verteilen durch Schaffung von standortsangepassten feinen Mischungen mittels Naturverjüngung, sowie die Wälder zu pflegen hinsichtlich eines guten Vitalitäts- und Stabilitätszustandes. Der waldbauliche Weg dazu ist bekannt, und es besteht eine ganze Palette von Pflege- und Verjüngungsmassnahmen, wie die der Plenterung einerseits und der Verjüngung durch eine Ablösung der Generationen (Femelschlag) andererseits. Es gibt eigentlich waldbaulich nichts Neues. Solche Konzepte anzuwenden, braucht aber gut ausgebildetes Personal in genügender Anzahl. Im Vordergrund stehen die Kompetenzen der Kenntnis der Ökologie der Baumarten, die Beurteilung der Standortsbedingungen und die Kenntnis der Verjüngungstechnik sowie von kostengünstigen Pflegemethoden, die es ermöglichen, Waldökosysteme zu begleiten und die Kontinuität ihrer Leistungen 
zu gewährleisten. 

 

Mitautoren dieses Artikels

*Jean-Philippe Schütz ist emeritierter Professor für Waldbau der ETH Zürich.

 

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